Köln – Manchmal beginnt das Leben ein paar Wochen zu früh. Die Zwillinge Tom und Lara kamen als Frühchen zur Welt – anstatt in der 40. bereits in der 24. Woche. Die Diagnose, die die Eltern erhielten, war zudem ein Schock: Beide Kinder hatten eine Hirnblutung. „Es war damals völlig unklar, wie es weitergehen sollte“, sagt Mutter Stefanie Daniel (39). Die Kinder mussten ein halbes Jahr im Krankenhaus bleiben, es mussten Ultraschalls, EEGs und neurologische Untersuchungen gemacht werden. Eine sehr belastende Situation für die Familie.

Heute sind Tom und Lara acht Jahre alt. Lara hat den frühen Start besser verkraftet. Sie spricht und läuft, während ihr Bruder Tom im Rollstuhl sitzt, gewickelt und über eine Sonde ernährt werden muss, weil er nicht gut schlucken kann. Er wiegt gerade einmal 25 Kilogramm. Beide Kinder leiden außerdem unter Epilepsie. Zahlreiche Therapien musste die Familie in Anspruch nehmen. „Bei uns war immer die Bude voll“, sagt Daniel. „Während andere ihre Kinder zum Fußball oder zum Ballett bringen, gibt es bei uns ganz andere Geschichten.“

Ärzte, Therapie, Krankenkassen, Kitas und Schulen

Die Familie schafft es, weil sie über ein starkes Netzwerk verfügt. Daniel, die 2007 von Paderborn nach Köln gezogen war, hatte Glück, dass ihre Schwiegereltern helfen. Ihre eigenen Eltern zogen 2015 ebenfalls an den Rhein. Auch eine integrative Kindertagesstätte und später die Förderschule an der Müngersdorfer Belvederestraße förderten die Kinder. Corona ist für die Familie Daniel eine besondere Herausforderung. Gleich im Frühjahr war eine Lehrkraft erkrankt, die Kinder mussten für zwei Wochen in Quarantäne. Derzeit erhält Tom eine Einzelbetreuung zu Hause durch seine Schulbegleitung, sechs Stunden täglich. Lara besucht die Notbetreuung der Schule.

Es gibt auch viele schöne Momente, die die Familie teilt: „Wenn Tom lacht, dann ist es die schönste Sache auf der Welt“, sagt Daniel. Generell beklagt die Pädagogin Daniel aber, dass Eltern mit Kindern mit Behinderung mit ihren Sorgen und Problemen oft allein gelassen werden. In einer Selbsthilfegruppe lernte Daniel zwei weitere Frauen kennen, die ebenfalls Kinder mit Behinderungen haben.

Daraus entstand 2019 der Verein „Süße Zitronen“. „Wir wollen so etwas wie Lotsen im Bürokratie-Dschungel sein“, sagt Psychologin Martina Maczewski. Denn Eltern mit Kindern mit Behinderung seien oft überfordert. Man müsse sich mit Ärzten und Therapien, Krankenkassen, Kitas, Schulen und vielem mehr auseinandersetzen. „Es ist eine völlig neue Welt, mit einem neuen Fachjargon, in die man hineingestoßen wird“, sagt auch Psychologin Alexandra Geißler-Wölfle von „Süße Zitronen“. Komplettiert wird das Team von Sozialpädagogin Mirjam Kalb.

„Süße Zitronen“ würde gerne Helfer qualifizieren

60 Stunden in der Woche beraten die vier Frauen Eltern von Kindern mit Handicap. Sie stellen Kontakte zu anderen Eltern, Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen her und informieren über Unterstützungsangebote. Der Verein hilft zudem, wenn gesetzliche Leistungen, Therapien, Rehabilitationsmaßnahmen oder Behindertenausweis und Pflegegrad beantragt werden müssen. Oder wenn Unstimmigkeiten mit Leistungserbringern und Kostenträgern entstehen. Schließlich werden auch Babysitter, Kinderbetreuer, Freizeitassistenten und Haushaltshilfen vermittelt. Manchmal tut es den Eltern auch einfach gut, dass sie jemandem von ihren Problemen erzählen können.

Etwa 100 Beratungen hat „Süße Zitronen“ in den vergangenen anderthalb Jahren durchgeführt. Der Verein, der sich ausschließlich über Spenden und Stiftungsgelder finanziert, vermittelt auch Mitarbeitende aus einem familienunterstützendem Dienst (FUD). Die Helfer und Helferinnen begleiten Kinder mit Behinderung in der Freizeit, beim Arztbesuch oder trainieren Alltagskompetenzen. Das Angebot kann tage- oder stundenweise wahrgenommen werden. Gerne würde „Süße Zitronen“ auch entsprechende Helferinnen und Helfer qualifizieren. Das Problem: Die Kurse sind eigentlich für die Altenpflege gedacht und nicht für Kinder mit Behinderung. „Pflege für Kinder ist in vielen Köpfen nicht präsent“, sagt Maczewski.

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